Die akademischen Beiträge zur Debatte über Desinformation standen im Mittelpunkt der Webinarreihe „Gegen Fake News in sozialen Netzwerken vorgehen“. Die Veranstaltung fand zwischen dem 8. und 10. September statt und kennzeichnete den Beginn der Aktionen, die das vom Vorstand für Evaluation öffentlicher Politiken der Fundação Getulio Vargas (FGV DAPP) mit Unterstützung der Deutschen Botschaft Brasília realisierte Projekt umfasst. Am zweiten Tag der Veranstaltung fanden eine Konferenz, moderiert von Tjerk Brühwiller, Journalisten und Lateinamerika-Korrespondenz der Frankfurter Allgemeine Zeitung, und eine Diskussionsrunde um das Thema Fake News und die digitale Öffentlichkeit – Wie wirkt die Desinformation auf demokratische Entscheidungsprozesse ein? statt.
Jeanette Hofmann, Professorin und Forschungsleiterin am WZB, war an diesem Tag die Keynote-Speakerin. Zu Beginn ihres Vortrags wies sie auf, wie sie es nannte, die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Desinformation seitens der Öffentlichkeit und dem, was sich in der Tat in Studien zum Thema empirisch feststellen lässt, hin. Laut ihrer Aussage handelt es sich zwar um kein neues Phänomen, aber dessen Funktionsweise im digitalen Kontext ist auffällig. „Früher war es mit staatlichen Strukturen verknüpft, indem es tendenziell den Staat als Manipulator der Bevölkerung darstellte. Heute haben wir die Trolle, die die Debatte verfälschen, verzerren und entleeren“, veranschaulichte die Forscherin bei der Erkennung von Individuen und Firmen als neue Akteure des Desinformationsapparats.
Laut Hofmann soll die Akademie nicht nur die Komplexität des Themas explizieren, sondern auch die Entwicklung von Forschungsmethoden fördern, die in der Lage sind, die unterschiedlichen Auswirkungen der Desinformation zu bewerten. Sie führte Brasilien als Beispiel dieses Szenarios an, indem sie auf eine höhere Anzahl von Studien mit Schwerpunkt auf Desinformationsmechanismen als auf deren Auswirkungen hinwies. Ihrer Meinung nach fehlen selbst in Europa überprüfbare Kategorien, die beispielsweise die Bewertung der Auswirkungen einer Desinformationskampagne auf das Endergebnis einer Wahl ermöglichen. Allerdings erkannte sie an: „Die Tatsache, dass es keine überprüfbaren Kategorien gibt, bedeutet weder, dass es keine Risiken gibt, noch, dass diese nicht wichtig sind“.
Ausgehend von diesem Beitrag bereicherten weitere Forscher die Diskussion durch Berichte, die die spezifische Lage in Brasilien beschreiben. Die Anthropologin Rosana Pinheiro Machado (Universität Bath) stellte Ergebnisse einer ethnografischen Studie, die in der Metropolregion Porto Alegre (RS) realisiert wurde. Sie zeigten, wie das Engagement für die Produktion und Verbreitung von Inhalten, oft von Fake News, die Fähigkeit zur Erzeugung eines Zugehörigkeits- und Anerkennungsgefühls in Betracht ziehen muss. Personen außerhalb der traditionellen Instanzen der Öffentlichkeit fingen an, sich als politische Akteure in einem Kontext, der von einer Krise in der Wirtschaft, der öffentlichen Sicherheit, der Verteilung der Geschlechterrollen und der demokratischen Gesinnung geprägt ist, zu erkennen. „Der Top-down-Diskurs kann sehr nützlich für die öffentliche Debatte sein, allerdings führt er zu Vereinfachungen im akademischen Kontext. Es ist notwendig, die Komplexität der Akteure zu berücksichtigen“, schloss die Anthropologin ihre Rede ab.
Laut Wilson Gomes, Professor an der Bundesuniversität von Bahia (UFBA) und Koordinator des Nationalen Instituts für Wissenschaft und Technologie in digitaler Demokratie (INCT.DD), gewährt dieses Szenario den digitalen Plattformen eine viel entscheidendere Rolle bei den Wahlen beispielsweise in Brasilien als in europäischen Ländern wie Deutschland. Er präsentierte eine Reihe von Aspekten, die bei dieser Analyse im brasilianischen Kontext von Bedeutung sind. Dazu gehören das Bildungsniveau und politisches Wissen, der Grad der Durchdringung der digitalen Plattformen in den Alltag, der Grad des Vertrauens in politische Institutionen, der Grad der sozialen Tribalisierung (Suche nach identitären Mustern), sowie das Ausmaß der Polarisierung, welche laut dem Professor von einem Zusammentreffen von Umständen, unter denen „niemand Brücken schlägt“, geprägt ist.
Am Ende der Diskussionsrunde bestätigte der Direktor des DAPP FGV Marco Aurelio Ruediger die Erforderlichkeit von Foren, die auf die Komplexität des Themas ausgehend von vielseitigen Perspektiven, die die Variablen in Zusammenhang mit der Funktionsweise der Desinformation bewältigen können, explizit verweisen. Seiner Meinung nach ist es einerseits allzu simpel zu behaupten, dass WhatsApp die Präsidentschaftswahlen bestimmte. Andererseits verteidigt er die Notwendigkeit zu verstehen, wie die Nutzung dieser und anderer Plattformen eine konkrete Realität in Anspruch nahm, um Narrative, die das Wahlergebnis unterstützten, zu produzieren. Die in der Webinarreihe durchgeführten Diskussionen versuchten, diese Dynamiken aufzugreifen und ausführlicher zu verstehen, damit immer mehr Menschen die Fundamente der demokratischen Struktur visualisieren und bestärken können.