Während der Pandemie 2020 haben neun von zehn Brasilianern mindestens eine falsche Information bekommen. Im Rahmen der Eröffnung der vom Vorstand für Evaluation öffentlicher Politiken der Fundação Getulio Vargas (FGV DAPP) und von der Deutschen Botschaft Brasília realisierten Webinar-Reihe „Gegen Fake News in sozialen Netzwerken vorgehen“ hat der Abgeordnete Felipe Rigoni (PSB-ES) am 8. September darauf aufmerksam gemacht. Die Zahl hilft, die Dimension der Herausforderung zu ermessen, vor der die Institutionen bei der Bekämpfung der Desinformation, welche das Hauptthema der Veranstaltung darstellt, stehen.
Die offizielle Eröffnungsrede wurde von dem Direktor des DAPP FGV, Marco Aurelio Ruediger, und dem Botschafter Deutschlands in Brasilien, Heiko Thoms, gehalten. Letzterer bedankte sich für die Zusammenarbeit mit der brasilianischen Institution und betonte den Bedarf an der Förderung von Aktionen, die die demokratischen Institutionen aufrechterhalten. Laut Ruediger spiegelt diese Art von Initiative den Kompromiss derjenigen wider, die sich für die Verbesserung der demokratischen Mechanismen einsetzen, wobei „solche Mechanismen mittels der Garantie des Widersprüchlichen beibehalten werden müssen“.
Im Laufe von drei Tagen brachten die Diskussionen Personen, die Referenzen in ihren Fachgebieten für das Thema sind, zusammen. Die Debatten kennzeichneten den Anfang einer Reihe von Aktionen mit Bezug auf das Projekt Digitalisierung und Demokratie in Brasilien, welches auf zwei Jahre angelegt und Ergebnis einer Kooperation des FGV DAPP mit der Deutschen Botschaft Brasília ist. Die Konferenzen und Diskussionsrunden zeigten, dass die Bemühungen in diesem Moment darauf konzentriert sind, die Funktionsweise der Produktion und Verbreitung von Fake News sowie die dafür günstige Bedingungen und Umgebungen zu verstehen.
Rodrigo Maia (DEM-RJ), Präsident der Abgeordnetenkammer Brasiliens, nannte Guerillas die Desinformationsaktionen, die die aktuellen politischen Umgebungen prägen, und machte man auf die Ernsthaftigkeit des Themas aufmerksam. Er nahm am ersten Webinar, Fake News und Parlamente: Wie erhöht man die Rechenschaftspflicht im Internet?, welches von der Journalistin und Ombudsfrau der Zeitung Folha de S. Paulo Flávia Lima moderiert wurde, teil. Maia stand dafür ein, dass die Mittel zur Bekämpfung der Fake News nicht auf stattfindende Bewegungen beschränkt sein sollten, unter Androhung unermesslicher Schaden für die Freiheiten. Er erkannte ebenso die Wichtigkeit an, den Gesetzentwurf zu Fake News, der schon vom Bundessenat genehmigt wurde, noch in diesem Jahr in der Abgeordnetenkammer zu verabschieden.
Rigoni, Mitverfasser des Projekts, widmete seine Rede der Erläuterung sowie der Beantwortung von Fragen bezüglich des Aufbauprozesses des Gesetzeswortlautes. Laut seiner Angabe bestand die erste große Herausforderung darin, die Gesetzgebung aus der Perspektive des Verhaltens, d.h. der Praktiken statt des Inhaltes zu betrachten. Er fügte hinzu, dass der Gesetzestext auf einigen Leitfäden wie Transparenz, insbesondere bei der Moderation und Förderung der Inhalte, und Identifizierung von automatisierten Accounts basiert, da Roboter für künstliche Übereinstimmungen sorgen. Diese Übereinstimmungen sind verantwortlich für die sogenannten Blasen, maschinenvermittelte Verknüpfungen, die dazu führen, dass die Nutzer immer mehr aus einer einzigen Perspektive sehen und immer weniger Möglichkeiten zur Divergenz haben.
In derselben Diskussionsrunde brachte Thomas Petri, Landesbeautragter für Datenschutz in Bayern, die europäische Erfahrung bei der Formulierung einer rechtlichen Antwort auf die von der Infodemie auferlegten Anforderungen, ein. Er berichtete über die letzte Rechtsvorschrift, die die grundlegenden Richtlinien zur Aufrechterhaltung der Regulierung von Datenproduktion, -verbreitung und -schutz in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beinhaltet. Unter diesen Richtlinien fällt die Maßnahme zur Umkehrung der Beweislast auf, wobei derjenige, der die Daten verarbeitet, deren Art beweisen muss. Die Plattformen müssen ihre Selbstregulierungsmechanismen organisieren, allerdings wird dieses Selbstregulierungsorgan, das von einer der Regierung nicht untergeordneten Regulierungsagentur geschaffen wurde, von der Justiz kontrolliert. Petri hält diesen autonomen Aspekt für grundlegend für die Transparenz und die Wirksamkeit der Regulierung. Diese Struktur ermöglicht den Nutzern, die sich geschadet fühlen, ihre Vorwürfe an Anbieter und Plattformen zu richten.
Der Bundesabgeordnete Orlando Silva (PCdoB-SP), Präsident des Ausschusses für Wissenschaft und Technologie, brachte seine Bedenken über Maßnahmen, die aus dem legislativen Bereich vor allem auf den Bildungs- und Medienbereich schließen, in die Debatte ein. Bei der Einleitung des Themas Medienerziehung in die Diskussion argumentierte er, dass es nicht ausreiche, ein entsprechendes Schulfach in den Lehrplänen der Grundschule anzubieten, sondern der Inhalt ebenso in das Curriculum von Lehrern und Lehrerinnen eingeführt werden müsse. Darüber hinaus verteidigte er die digitale Inklusion, z.B. durch Zugang zu Mechanismen zur Informationsüberprüfung für diejenigen, die auf Sprach- und Videonachrichten beschränkt sind. Was Medien anbelangt, sprach er über die Wichtigkeit einer zunehmenden Informationsbewertung, die die Prozesse, durch die die Glaubwürdigkeit der Presse infrage gestellt wurde, einschließlich deren Disqualifizierung durch öffentliche Akteure, überwindet. Er beendete seine Rede mit der Aussage, dass zusätzlich zu dem Gesetz Strukturierungsmaßnahmen notwendig sind.