Digitale Demokratie

Digitalisierung und Öffentlichkeit in Brasilien

Deutsch-Brasilianische Beziehungen

Auswirkungen der digitalen öffentlichen Debatte

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1. Executive Summary

Zusammenfassung:

Dieser Bericht ermöglicht einen Überblick über die öffentliche Debatte hinsichtlich der Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland. Dabei liegt der Schwerpunkt darauf, zu verstehen, wie diese Beziehung für beide Länder ausgestaltet werden. Die hier zusammengestellten Informationen basieren auf einer von der FGV-Kommunikation/Rio durchgeführten Multiplattform-Analyse. Hierzu zählen die Veröffentlichungen und Nachrichten von Twitter, Facebook, Instagram und Telegram. Zunächst werden in der Studie die Tendenzen und Merkmale der allgemeinen Debatte zum Thema skizziert, wobei der Zeitraum vom 1. Januar bis zum 14. Juni 2023, also seit Beginn der Regierung Lula, berücksichtigt wird. Anschließend wird der Schwerpunkt auf die folgenden Ereignisse und Gelegenheiten gelegt, um die Analyse der digitalen öffentlichen Debatte zu vertiefen: den Besuch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock in Brasilien, die Treffen zwischen Lula und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die diplomatischen Aspekte der Beziehungen zwischen den beiden Ländern, die sich in Themen wie der Umweltagenda und dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine manifestieren.

 

Schlüsselwörter:
Deutsch-brasilianische Beziehungen; Umweltagenda; Krieg in der Ukraine.

 

ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE

 

  • Die digitale Debatte über die Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland folgt und spiegelt Ereignisse und diplomatische Sachverhalte wider, die beide Länder betreffen, wobei der Schwerpunkt auf die Zahlung der deutschen Regierung an den Amazonas-Fonds und der Unterstützungserklärung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz für Lula bei einer Veranstaltung in Brasilien liegt.
  • Der Besuch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock hatte im Vergleich zu den vorgenannten Ereignissen eher seitliche Wirkungen, mobilisierte aber auch Akteur*innen aus unterschiedlichen politischen Lagern in den Netzwerken.
  • Die Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland werden hauptsächlich auf Twitter diskutiert, weniger auf Facebook, Instagram und Telegram. Mit Ausnahme von Telegram wird die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern überwiegend positiv in den Netzwerken gesehen.
  • Unter den Rahmenbedingungen, die sich aus dieser Beziehung ergeben, sticht das Umweltthema positiv hervor. In diesem Zusammenhang vertritt die Linke praktisch einhellig die Ansicht, dass die Zusammenarbeit zwischen Brasilien und Deutschland für die Weiterentwicklung der Umweltagenda in Brasilien von Vorteil sein kann.
  • Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hingegen geht in die entgegengesetzte Richtung und wird von der Opposition gegen die Regierung instrumentalisiert, um vermeintliche Unstimmigkeiten zwischen Brasilien und Deutschland zu unterstellen. Auch ein Teil der Linken kritisiert dieses Verhältnis und zeigte sich unzufrieden mit den Reden Baerbocks während ihres Besuchs in Brasilien.

2. Ergebnisse und Diskussion

1) Allgemeine Debatte

Diagramm 1 - Entwicklung der Debatte über die Beziehung zwischen Brasilien und Deutschland auf Twitter, Facebook und Instagram
Analysierter Zeitraum: Vom 1. Januar bis zum 14. Juni 2023

Quelle: Twitter, Facebook und Instagram | Gestaltung: FGV-ECMI

. Quelle: Twitter, Facebook und Instagram | Gestaltung: FGV-ECMI

Die Twitter-Debatte über deutsch-brasilianische Beziehungen erreichte zwei Höhepunkte im analysierten Zeitraum, wobei sie sich die meiste Zeit auf einem Tiefpunkt befand. Den ersten Höhepunkt stellte Lulas Amtseinführung und Deutschlands Beabsichtigung einer Spende an den Amazonas-Fonds dar. Die Gelegenheiten waren Anlass für Tweets, in denen die Zusammenarbeit zwischen den Ländern begrüßt wurde. Ende Januar wurden erneut positive Beiträge gepostet, nachdem der Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Pressekonferenz im Planalto-Palast seine Unterstützung für Lula erklärt hatte.

Auf Facebook und Instagram war die Diskussion deutlich weniger intensiv, aber immer noch positiv. Geleitet von Politiker*innen der Arbeiterpartei (PT) wie Lula, Gleisi Hoffmann und Humberto Costa sowie von traditionellen Medien konzentrierte sich die Debatte auf die verschiedenen Besuche des deutschen Bundeskanzlers in Brasilien und in geringerem Maße auf die Unterstützung des deutschen Bundespräsidenten für Lula. Die Beteiligung Deutschlands an den Amazonas-Fonds wurde ebenfalls gefeiert, auch wenn nur am Rande. Der Besuch von Ministerin Annalena Baerbock stand nicht im Vordergrund in dieser allgemeinen Debatte.

In beiden Netzwerken wurde der Krieg zwischen Russland und der Ukraine durch Akteur*innen der Regierungsopposition thematisiert, um die deutsch-brasilianische Beziehung zu belasten. So wurden Meinungsverschiedenheiten und Unstimmigkeiten zwischen den Ländern suggeriert, die so weit gingen, dass Lula die Bitte von Scholz, Waffen und Munition in die Ukraine zu schicken, abgelehnt hätte. Diese Äußerungen waren jedoch nicht repräsentativ für und lediglich nebensächlich in der Debatte.

 

2) Debatte über den Besuch der deutschen Bundesministerin Annalena Baerbock in Brasilien

Diagramm 2 - Wichtigste Themen in der Debatte auf Twitter
Analysierter Zeitraum: Vom 1. bis zum 14. Juni 2023

Quelle: Twitter | Gestaltung: FGV-ECMI

. Quelle: Twitter | Gestaltung: FGV-ECMI

Baerbocks Rede darüber, dass sich die Brasilianer*innen mehr um den Preis von Bohnen als um den Krieg zwischen Russland und der Ukraine kümmern, war das wichtigste Thema in der Debatte über den Besuch der Ministerin in Brasilien. Die Rede, die überwiegend negative Kommentare hervorrief, brachte Akteur*innen der Linken und der Rechten zusammen, die beide die Ministerin kritisierten.

In der Linken wurde die Diskussion von Influencer*innen und Aktivist*innen geführt, die darauf hinwiesen, dass Baerbock das Szenario der Ungleichheit nicht kenne. Progressive Profilseiten betonten, die Ministerin sei daran interessiert, „brasilianisches Geld in den Krieg zu bringen“.
Die durch hyperparteiische Medienkanäle mobilisierte Rechte verhielt sich hingegen unsachlich, aber kritisierte ebenso die Ministerin, da sie die offizielle Position der Regierung gegenüber dem Krieg mit der allgemeinen geäußerten Position der Bürger*innen verwechselt habe soll. In den Kommentaren stellten Twitter-Nutzer*innen die intellektuelle Kompetenz der Ministerin infrage.

Außer dieses negativen Tons ließen sich neutrale und positive Äußerungen feststellen, darunter von traditionellen Medienkanälen und Mitgliedern des Regierungskabinetts wie Marina Silva und Geraldo Alckmin. Es wurden die möglichen Beiträge einer bilateralen Zusammenarbeit zwischen Brasilien und Deutschland hervorgehoben, wobei der Schwerpunkt auf der Umweltagenda und den Möglichkeiten der „Neoindustrialisierung“ lag.

Diagramm 3 - Meistgeteilte Nachrichten zum Thema auf Telegram
Analysierter Zeitraum: Vom 1. bis zum 14. Juni 2023

Quelle: Telegram | Gestaltung: FGV-ECMI

. Quelle: Telegram | Gestaltung: FGV-ECMI

Die Rede der Ministerin über die Position der brasilianischen Bürger*innen in Bezug auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine hatte auch Auswirkungen auf Telegram. Telegramm-Kanäle, die mit der brasilianischen Rechten verbunden sind, sowie diejenige, die der Ukraine und der Europäischen Union kritisch gegenüberstehen, gaben Auszüge aus der Rede wieder, die sie als eine Kritik an Brasilianer*innen darstellten. Allgemeine Kritik an der Ministerin wurde ebenfalls in rechten Telegramm-Kanälen geteilt.

Es wurden auch Nachrichten erfasst, welche die Rede der Ministerin prinzipiell positiv wiedergaben, ohne sie als eine direkte Kritik an den Brasilianer*innen darzustellen. Dabei wurde betont, dass sie „Verständnis“ für die brasilianische Bevölkerung zeigte. In russlandfreundlichen Kanälen wurden auch Nachrichten zum Thema verbreitet, die zu mehrheitlicher Kritik an der Ministerin führten.

Bild 1 - Wichtigste Postings zum Thema auf Facebook
Analysierter Zeitraum: Vom 1. bis zum 14. Juni 2023

Quelle: Instagram und Facebook | Gestaltung: FGV-ECMI

. Quelle: Instagram und Facebook | Gestaltung: FGV-ECMI

Postings von brasilianischen Behörden, Nachrichtenportalen und geopolitischen Berichterstattungsprofilseiten stachen auf Facebook und Instagram heraus. Auf den Plattformen wurde Baerbocks Besuch von brasilianischen Behörden, die Wert auf bilaterale Partnerschaften legen, und von Profilseiten wie DW Brasil und der Deutschen Botschaft, die über die Ankunft der deutschen Delegation berichteten, positiv aufgenommen.

Mitte-Rechts- oder Pro-Russland-Profilseiten verfassten abfällige Kritiken zu den angeblichen Äußerungen der deutschen Ministerin hinsichtlich der Haltung der brasilianischen Bürger*innen gegenüber dem Krieg in der Ukraine. Auf den Plattformen erreichten die Postings der Seiten Sputnik Brasil und O Antagonista eine höhere Anzahl an Interaktionen als die Postings der DW Brasil, die den Fall als eine auf „russische Propaganda“ zurückzuführende Verzerrung von Baerbocks Rede bezeichnete.

 

3) Debatte über die Besuche von Bundeskanzler Olaf Scholz in Brasilien

Diagramm 4 - Wichtigste Themen in der Debatte auf Twitter
Analysierter Zeitraum: Vom 1. Januar bis zum 14. Juni 2023

Quelle: Twitter | Gestaltung: FGV-ECMI

. Quelle: Twitter | Gestaltung: FGV-ECMI

Die Erwähnungen der Besuche von Olaf Scholz in Brasilien fanden in Tweets, welche die Zusammenarbeit zwischen Brasilien und Deutschland besprachen, einen milden, positiven Widerhall. In diesem Sinne konzentrierte sich die Debatte auf Lulas offizielle Profilseite, deren Tweets einen institutionellen Ton aufwiesen und Treffen zwischen den Führungskräften bekannt machten.

Unter den mehreren Treffen des deutschen Kanzlers mit Lula ist das letzte, während des G-7-Gipfels, hervorzuheben, da er für eine größere Anzahl an Kommentaren sorgte, vor allem nachdem Lula ein Tweet zu seiner Agenda mit verschiedenen Staatschefs neben dem deutschen, dem japanischen, indonesischen und französischen, veröffentlichte.

Weitere Ereignisse waren maßgebend für die Debatte. Scholz‘ Unterstützung für Lula bei der Amtseinführung des brasilianischen Präsidenten wurde auf den Profilseiten progressiver Aktivist*innen und Influencer*innen enthusiastisch aufgegriffen. Auch die Beteiligung Deutschlands an den Amazonas-Fonds wurde positiv gesehen, insbesondere in der Zeit der humanitären Krise der Yanomami-Bevölkerung. Das mögliche Abkommen zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union wurde nur am Rande erwähnt.

Rechtsgerichtete Profilseiten erschienen nicht in dieser Debatte, die durch den positiven Ton geprägt wurde. Zusammengefasst ist festzuhalten, dass die Beziehung zwischen Lula und Scholz als Zeichen für die Wiederaufnahme der internationalen Politik Brasiliens dargestellt wurde.

3. Fazit

Diese Studie befasst sich mit der Stärkung der bilateralen Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland, die in der öffentlichen Debatte durch die Ankündigung der Zahlung der deutschen Regierung an den Amazonas-Fonds und die Unterstützungserklärung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz für Lula bei einer Veranstaltung in Brasilien mobilisiert wurde. Der Besuch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock gehört ebenfalls zu den hervorzuhebenden Aspekten des binationalen Austausches zwischen den beiden Ländern. Neben den diplomatischen Beziehungen sind auch die Umweltagenda und der Krieg zwischen Russland und der Ukraine Themen, welche die Debatte auf digitalen Plattformen beleben.

Was die Umweltdebatte betrifft, so wird die Zusammenarbeit zwischen Brasilien und Deutschland überwiegend positiv gesehen, was auf die Bedeutung dieses Themas für die öffentliche Debatte und seine Fähigkeit, Nutzer*innen positiv zu mobilisieren, hinweist. Die Debatte über den Krieg zwischen Russland und der Ukraine wirkt sich hingegen negativ aus, vor allem bei den Nutzer*innen, die gegen die Regierung Lula sind und der Meinung sind, es gebe einer Spannung in den Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland aufgrund von der Weigerung des brasilianischen Präsidenten, Waffen an die Ukraine zu liefern, und seinen Äußerungen über den Krieg. Unter den Anhänger*innen des brasilianischen Präsidenten ist das Thema des Krieges zwischen der Ukraine und Russland ebenfalls ein Ziel der Unzufriedenheit, insbesondere nach der Rede von Ministerin Baerbock während ihres Besuchs in Brasilien.

4. Herausgeber

Forschungskoordination
Marco Aurelio Ruediger
Amaro Grassi

Forscher*innen
Leticia Sabbatini
Mariana Carvalho
Lucas Roberto da Silva
Polyana Barbosa
Thaís Rabello
Dalby Dienstbach Hubert
Maria Sirleidy Cordeiro
Neubiana Beilke
Victor Piaia
Sabrina Almeida

Fachliche Prüfung
Renata Tomaz

Grafikdesign
Daniel Almada
Luis Gomes

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