Digitale Demokratie

Digitalisierung und Öffentlichkeit in Brasilien

Digitale desinformation und infragestellung der wahlen

Eine Untersuchung von Facebook-Postings zum Wahlbetrug durch elektronische Wahlgeräte und zu überprüfbaren Stimmzetteln in Papierform, die zwischen November 2020 und Januar 2022 veröffentlicht wurden

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1. EXECUTIVE SUMMARY

Zusammenfassung:
Diese Studie analysiert Beiträge, die zwischen November 2020 und Januar 2022 auf Facebook veröffentlicht wurden. Sie verteidigen den überprüfbaren gedruckten Stimmzettel, da durch elektronische Wahlgeräte Betrug begünstigt würde. Ziel dabei ist es, die beliebtesten Beiträge, Akteure und Links mit den meisten Interaktionen innerhalb dieses 15-monatigen Zeitraums auszumachen. Somit können die Ursprünge und die Mobilisierungsdynamiken einer Agenda nachverfolgt werden, die Misstrauen gegenüber der Wahl in digitalem Kontext schürt und diese infrage stellt. Dies ist der dritte Forschungsbericht, der die Unterstellungen von Betrug durch elektronische Wahlgeräte untersucht. Der Bericht wurde im Rahmen des Projekts Digitalisierung und Demokratie in Brasilien, einer Kooperation zwischen dem FGV DAPP und der Deutschen Botschaft Brasília, verfasst.

Schlüsselwörter:
Betrug durch elektronische Wahlgeräte. Wahlbezogene Desinformation. Facebook. Brasilien.

 

ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE

  • Zwischen November 2020 und Januar 2022 wurden 394.370 Postings über Betrug durch elektronische Wahlgeräte und zur Verteidigung des überprüfbaren gedruckten Stimmzettels ermittelt. Sie wurden von 27.840 Accounts veröffentlicht, darunter Facebook-Seiten, persönliche Profilseiten und öffentliche Gruppen. Diese Postings zogen mehr als 111 Millionen Interaktionen an.
  • Die Veröffentlichung der Beiträge erstreckte sich über den gesamten Untersuchungszeitraum von 15 Monaten. Die Anzahl häufte sich jedoch im November 2020, als der Präsidentschaftswahlkampf in den Vereinigten Staaten und die Kommunalwahlen in Brasilien stattfanden. Auch im Juli und August 2021 wurden überdurchschnittlich viele Postings veröffentlicht. Zu dieser Zeit gewann die öffentliche Diskussion über den Vorschlag zur Verfassungsänderung PEC 135/2019 („PEC zum gedruckten Stimmzettel“) an Bedeutung. Außerdem äußerte sich Präsident Jair Bolsonaro öffentlich zur vermeintlichen Unsicherheit der elektronischen Stimmgabe bei vergangenen und kommenden Wahlen sowie bei den Wahlen 2022. Der Durchschnitt über die gesamten 15 Monate lag bei 888 Beiträge pro Tag. Die meisten Beiträge innerhalb von 24 Stunden wurden am 10. August 2021 verzeichnet: 10.619 Beiträge wurden an diesem Tag auf der Plattform gepostet.
  • Das Jahr 2021 wurde geprägt von hoher Aktivität von Gruppen und Seiten, die sich für den gedruckten Stimmzettel einsetzten und dem höchsten Durchschnitt von Postings und Interaktionen pro Account seit 2014. Diese Daten deuten auf eine hohe Mobilisierungskapazität hin. Im Vergleich zum Oktober 2018, als die hier untersuchte Thematik ihren bisherigen Höhepunkt in den sozialen Medien erreichte, wiesen vier Monate des Jahres 2021 eine höhere durchschnittliche Anzahl an Interaktionen pro Posting auf. Die Zahlen deuten stark darauf hin, dass sowohl die Anzahl der Beiträge zur Infragestellung der Wahlprozesse als auch die Anzahl Interaktionen mit diesen Beiträgen auf Facebook zunahmen.
  • Zwölf Accounts konzentrierten die größte Menge an Interaktionen (ab 1 Million jeweils) mit Facebook-Beiträgen zum Betrug durch elektronische Wahlgeräte und zum gedruckten Stimmzettel auf sich. Die meisten davon gehörten gewählten Politikern, einschließlich des Präsidenten Jair Bolsonaro, welcher als Wortführer dieser Ansichten gilt. Unter jenen für die hier untersuchte Thematik einflussreichsten Beiträgen jedoch war die Bundesabgeordnete Carla Zambelli (PSL-SP) diejenige, die das Thema am häufigsten aufgriff: 1.576 Postings in 15 Monaten.
  • Insgesamt posteten 23 Accounts mehr als tausend Mal auf Facebook zu solchen Themen im Zusammenhang mit dem Misstrauen gegenüber Wahlen. Die Person Jair Bolsonaro ist ein Referenzpunkt – ob unterstützend oder ablehnend – für all diese Seiten und öffentlichen Gruppen, insbesondere Movimento Brasil mit 11.856 Beiträgen und Bolsonaro 2022 🇧🇷 mit 7.413 Postings. Weitere Hunderte ähnlicher Accounts weisen ebenfalls eine hohe Anzahl an Postings zu diesem Thema auf.
  • Die 40 populärsten Postings, die behaupteten, es würde mithilfe elektronischer Wahlgeräte betrogen, erzeugten 6.809.193 Interaktionen. 13 von den 20 populärsten dieser 40 Beiträge (32,5 %) stammen von Jair Bolsonaros Profilseite, auf die fast die Hälfte der Interaktionen entfällt (3.227.981 oder 47 %).
  • Mehr als 130.000 Beiträge enthielten interne und externe Links zu Facebook, eine Art von Inhalt, die 23,9 % der Interaktionen ausmachte. Diese Links waren bis zu 435 Tage im Umlauf. Die meisten externen Links mit überdurchschnittlich vielen Interaktionen fordern die öffentliche Konsultation zur Einführung des gedruckten Stimmzettels bei der gesamten Stimmabgabe und liefern Material zur Mobilisierung für den Vorschlag zur Verfassungsänderung PEC 135/2019 („PEC zum gedruckten Stimmzettel“). Dieses Material wird in einem Link des Bundessenats in 8.412 Postings auf Facebook geteilt.

2. ERGEBNISSE UND DISKUSSION

1) Entwicklung der Postings auf Facebook

Im Laufe der letzten zwei Jahren stieg die Menge an Beiträgen rund um die Debatte über elektronische Wahlgeräte und überprüfbarer gedruckter Stimmzettel auf Facebook kontinuierlich an. Allerdings wurden Spitzenwerten erreicht, als die Agenda auf irgendeine Weise in Verbindung mit der öffentlichen Agenda stand. Seit 2014 nimmt die Anzahl an Postings zu dem Thema zu. Sie haben eine zentrale Bedeutung für die allgemeinen Wahlen im Jahr 2018 und spielten zum ersten Mal eine wichtige Rolle 2020 bei den Kommunalwahlen (RUEDIGER et al. 2020a). In den 15 Monaten zwischen November 2020 und Januar 2022 betrug der Durchschnitt 888 Postings/Tag. Die Monate mit den meisten Postings, die den Wahlprozess in Frage stellten, waren der November 2020 (50.574 Postings = 12,7 % der Gesamtzahl) sowie der Juli 2021 (69.943 Postings = 17,7 % der Gesamtzahl) und August 2021 (94.317 Postings = 23,9 % der Gesamtzahl). Der Tag mit den wenigsten Postings (133) war der 28. November 2021. Der Monat mit den meisten Postings (10.619) war der 10. August 2021.

Entwicklung der Facebook-Postings zum Wahlbetrug mittels elektronischer Wahlgeräte und zum gedruckten Stimmzettel
Analysierter Zeitraum: Vom 2. November 2020 bis zum 18. Januar 2022


. Quelle: CrowdTangle | Gestaltung: FGV DAPP

Im Allgemeinen ging die Häufigkeit der Beiträge über das elektronische Abstimmungssystem zwischen 2020 und 2022 mit den folgenden Themen einher: dem Auszählungsverfahren bei den Wahlen 2020 in den Vereinigten Staaten, dem Cyberangriff auf das System des Obersten Wahlgerichts (TSE) und der Verzögerung bei der Auszählung bei der ersten Runde der Kommunalwahlen 2020 in Brasilien. Auch erwähnenswert waren die Diskussionen und die Abstimmung über den Vorschlag zur Verfassungsänderung PEC 135/19 (PEC des überprüfbaren gedruckten Stimmzettel), der im August 2021 von der Abgeordnetenkammer abgelehnt wurde. Hinzu kommt, dass die Äußerungen des Präsidenten Jair Bolsonaro (PL), die wiederholt die Transparenz der Wahlverfahren 2014 und 2018 in Frage stellen und ein Klima von Misstrauen gegenüber dem Präsidentschaftsrennen 2022 fördern, die Diskussion auf Facebook weiter anheizen. Die Veröffentlichungsspitzen im November 2020 sowie im Januar, Mai, Juli und August 2020 spiegeln dieses politische Panorama wider.

Wie der folgende Abschnitt veranschaulicht, wurde das Jahr 2021 durch intensive Aktivität von Gruppen und Seiten geprägt, die den gedruckten Stimmzettel befürworteten. Im betroffenen Zeitraum war diese Aktivität nicht gleichmäßig verteilt und die Leistungen von den engagierten Gruppen bewirkten einen allgemeinen Anstieg der durchschnittlichen Anzahl von Postings pro Seite. Sechs der zehn Monate mit der höchsten durchschnittlichen Anzahl von Postings pro Account seit 2014 waren im Jahr 2021. Eine entsprechende Verteilung lässt sich beobachten, wenn die Daten der durchschnittlichen Anzahl von Interaktionen pro Account seit 2014 analysiert werden. Sie deuten nicht nur auf eine höhere Aktivität hin, sondern auch auf die Möglichkeit, eine hohe Mobilisierung zu initiieren. Das Jahr 2021 zeichnet sich ebenfalls aus, wenn es mit anderen Momenten verglichen wird, in denen Inhalte über Wahlbetrug mittels elektronischer Wahlgeräte intensiv verbreitet wurden. Die größte Anzahl von Interaktionen bei Postings zum Wahlbetrug mittels elektronischer Wahlgeräte (RUEDIGER et al. 2020a) der letzten Jahre, gab es 2018. Im Oktober betrug der Durchschnitt 1.206,3 Interaktionen pro Posting , was dem höchsten Engagement jenes Jahres entsprach. Im Jahr 2021 wiederum gab es vier Monate, in denen die durchschnittliche Anzahl von Interaktionen pro Posting höher war als im Oktober 2018. Hervorzuheben sind die Monate Juli und August, in denen der Durchschnitt bei 2.724,8 bzw. 2.369,9 lag.

Im August 2021, nachdem die Aktivität im Zuge der Ablehnung des Vorschlags zur Verfassungsänderung PEC des gedruckten Stimmzettels einen Höhepunkt erreichte, wies die Debatte einen deutlichen Rückgang auf, der mit einem Rückgang der Teilnahme von institutionellen Führungskräften einherging. Von November 2021 bis Januar 2022 war nicht nur die Anzahl von Beiträgen klein, sondern auch das Engagement und die Anzahl von Interaktionen. Bezüglich der wichtigsten Akteure dieses Zeitraums war Filipe Barros (PSL-PR) die einzige institutionelle Führungskraft, die nach der Ablehnung des PEC des gedruckten Stimmzettels auf die Auseinandersetzung bestand. Seine Postings erzeugten mehr als 140.000 Interaktionen. Ebenfalls hervorzuheben ist die Seite Jornal da Cidade Online, die für über 105.000 Interaktionen verantwortlich war und somit auf dem zweiten Platz stand. Zehn der fünfzehn Gruppen und Seiten mit den meisten Beiträgen zum Thema sind für Bolsonaro. Die Postings teilen sich in zwei Themen auf: Überwachung der Aktionen der TSE zur Überprüfung der Sicherheit der elektronischen Wahlgeräte und Versuchen, die Wähler (größtenteils pro Bolsonaro) für koordinierte Aktionen zur Überprüfung der Wahlergebnisse zu mobilisieren. Dazu gehört beispielsweise, wie es auch schon bei den Präsidentschaftswahlen 2018 stattfand, das Versenden von Abstimmungsnachweisen an Jair Bolsonaro.

2) Accounts und Interaktionen auf Facebook

Zwischen Ende 2020 und Anfang 2022 wurden auf Facebook von 27.840 Accounts 394.370 Beiträge unter verifizierten Profilseiten, Gruppen und Seiten veröffentlicht. Sie enthalten Betrugsvorwürfe bzgl. elektronischer Wahlgeräte und fördern den überprüfbaren gedruckten Stimmzettel. Im analysierten Zeitraum gab es mindestens 111.748.306 Interaktionen mit den Accounts, die zu diesen Themen posteten. Zwölf Accounts zeichneten sich dadurch aus, dass sie jeweils mehr als 1 Million Interaktionen aufwiesen. Mit Ausnahme des Nachrichtenportals UOL Notícias stehen alle auf der Seite der Regierung Bolsonaro oder sind auf die rechtskonservative Agenda ausgerichtet. Sieben davon gehören Politiker*innen. Die anderen gehören einem (hyper)parteiischen Medienkanal, einem Plattform-Medienkanal, zwei Vertretern der traditionellen Presse und zwei Gruppen von Unterstützern.

Accounts, deren Beiträge zum Wahlbetrug mittels elektronischer Wahlgeräte am meisten Interaktionen erzeugten
Analysierter Zeitraum: Vom 2. November 2020 bis zum 18. Januar 2022


. Quelle: CrowdTangle | Gestaltung: FGV DAPP

Carla Zambelli (ZambelliOficial), Bundesabgeordnete der PSL-SP und Verbündete von Jair Bolsonaro, postete 1.576 Beiträge und zog 7.961.826 Interaktionen an – ein Durchschnitt von 5.051 Interaktionen pro Posting –, indem sie die Fahne der Infragestellung des Wahlsystems hochhielt (Diagramm 2). Anderen politischen Akteuren gelang es, selbst mit einer deutlich geringeren Anzahl von Postings, ein hohes Engagement aufrechtzuerhalten. Dies war z.B. bei Bia Kicis (PSL-DF) und Filipe Barros (PSL-PR) der Fall, die 256 bzw. 261 Beiträge veröffentlichten und mit diesen wiederum 6.855.975 und 4.884.829 Interaktionen erzeugten. Durchschnittlich sind es 26.781 bzw. 18.715 Interaktionen/Posting. Der Präsident Jair Bolsonaro (PL) erreichte 3.878.011 Interaktionen mit nur 42 Beiträgen, was einem Durchschnitt von 92.333 Interaktionen/Posting entspricht.

Accounts, die am meisten zum Wahlbetrug mittels elektronischer Wahlgeräte posteten
Analysierter Zeitraum: Vom 2. November 2020 bis zum 18. Januar 2022


. Quelle: CrowdTangle | Gestaltung: FGV DAPP

Parallel zu diesen einflussreichen Accounts gibt es 23 weitere, die zusammen mit Carla Zambelli in 15 Monaten mehr als 1.000 Beiträge zu diesem Thema auf Facebook veröffentlichten (Diagramm 3). Bei den meisten handelt es sich um Accounts für Jair Bolsonaro und Gruppen oder Seiten, wie z.B. „Movimento Brasil“ (11.856), „Bolsonaro 2022 🇧🇷“ (7.413), „GRUPO OLAVO DE CARVALHO“ (2. 815), „FORÇABRASIL“ (2.725), „Aliança pelo Brasil 38“ (2.649), „Bolsonaro 2022“ (2.381) oder „Grupo do SOLDADO DE AÇO Apoio ao Presidente Jair Bolsonaro“ (2284) (Diagramm 3). Unter den restlichen Accounts, die mehr als 30.000 betragen, überwiegen diejenigen, die ebenfalls mit den Werten und Akteuren des konservativen Feldes der neuen brasilianischen Rechten verbunden sind, gefolgt von linksorientierten Pressekanälen und Seiten, die auf entsprechende Themen reagieren. Hinzu kommen Accounts, die sich auf den dritten Weg oder auf eine systemfeindliche Ideologie beziehen.

3) Die Populärsten Facebook-Postings zum Wahlbetrug

Die populärsten 40 Postings, die den Vorwurf des Wahlbetrugs und die Einführung der überprüfbaren gedruckten Stimmzettel proklamieren, versammeln insgesamt 6.809.193 auf sich. Die Beiträge wurden von 11 verschiedenen Accounts gepostet, von denen neun Seiten von Personen des öffentlichen Lebens stammen und zwei öffentlichen Gruppen zugeschrieben werden können (Conservadores Sergipe und TV Bolsonaro-B38 Em 2022). Auf der Liste der Personen des öffentlichen Lebens stehen vor allem Politiker, die jedoch nicht alle ein Amt bekleiden: Bia Kicis, Carla Zambelli, Eduardo Bolsonaro, Fernando Borja, Jair Bolsonaro, Magno Malta und Roberto Requião. Aber auch der dem Bolsonarismus nahestehende Blogger und Youtuber Alberto Silva gehört dazu. Von den 40 relevantesten Beiträgen in Bezug auf den digitalen Widerhall auf Facebook stammen 13 (32,5%) von der Seite Jair Bolsonaros (jairmessias.bolsonaro). Sie erreichten 3.227.981 Interaktionen (47,4 % der Gesamtmenge), die in Verbindung mit den 20 relevantesten Beiträgen stehen (Diagramm 4).

Von den zehn Beiträgen ganz oben auf der Liste stammen acht von der offiziellen Seite Jair Bolsonaros, wobei drei davon Inhalte im Live-Streaming-Format sind. Der populärste Beitrag der 40er-Gruppe gehört zu den acht populärsten Beiträgen Bolsonaros insgesamt und wurde seit seiner Veröffentlichung am 12. Juli 2021 mindestens 144.735 Mal geteilt. Es handelt sich um eine von dem Journalist Ricardo Boechat produzierte Reportage, die 2009 in der Nachrichtensendung des TV Band ausgestrahlt wurde. Dabei wird einer unterlegenen Koalition vorgeworfen, bei der Wahl in Caxias, Maranhão, betrogen zu haben. Die Beweisaufnahme zu der Strafanzeige zu diesem Fall wurde 2009 von der brasilianischen Bundespolizei selbst abgeschlossen. Dieses Video wird regelmäßig verbreitet und wurde bereits von Faktencheck-Organisationen als „aus dem Kontext gerissen“ eingestuft . Das Posting mit den meisten Interaktionen – betrachtet man die Summe aller Reaktionen, Shares und Kommentare, ergeben sich 393.139 Interaktionen – wurde am 1. Februar 2021 ebenfalls von Präsident Bolsonaro geteilt. Darin analysierte er den Wahlsieg von Rodrigo Pacheco (DEM-MG) für die Präsidentschaft des Bundessenats und hob ironisierend hervor, dass die Abstimmung auf „Papierstimmzetteln“ durchgeführt wurde.

Die 20 Facebook-Postings, die die meisten Interaktionen anzogen
Analysierter Zeitraum: Vom 2. November 2020 bis zum 18. Januar 2022


. Quelle: CrowdTangle | Gestaltung: FGV DAPP

Zu den Top 10 gehören außerdem Beiträge von den Seiten des ehemaligen Senators von Paraná, Roberto Requião (robertorequiao) (MDB), und des Bloggers, Youtubers und Bolsonaro-Anhängers Alberto Silva (albertosilvaBrasil). Requião postete einen Auszug einer Rede eines Staatsanwalts aus Mato Grosso do Sul, in der es um die Sicherheit des elektronischen Systems ging und vor dem Justiz- und Bürgerrechtsausschuss der Abgeordnetenkammer gehalten wurde. In der Rede verteidigte der Politiker die Abstimmung in Papierform und sein Posting generierte online 239.751 Interaktionen. Silva wiederum gab eine in der Presse veröffentlichte Erklärung des Verteidigungsministers Walter Braga Netto wieder. Er warnte darin seine Anhänger, dass die Armee festgestellt habe, dass entweder eine überprüfbare Abstimmung in Papierform einzuführen wäre oder 2022 keine Wahl durchgeführt werden könne. Mit 220.532 Interaktionen wurde seine Behauptung mit populistischer Tonfall widerlegt.

Die Bundesabgeordnete Carla Zambelli (PSL-SP), die zur Basis der Regierung Bolsonaro gehört, steht hinter dem Präsidenten an zweiter Stelle: Ihre 12 Beiträge zogen insgesamt 1.601.128 Interaktionen (23,5%) nach sich. Bia Kicis (PSL-DF), die zu den Abonnenten Zambelli gehört und den im betroffenen Zeitraum noch diskutierten Vorschlag zur Verfassungsänderung PEC do Voto Impresso verfasste, steuert sechs Beiträge zu der Liste der 40 populärsten Beiträge bei. Ihre Beiträge erzeugten insgesamt 664.908 Interaktionen (9,7 %). Auch zwei Postings des Bundesabgeordneten Eduardo Bolsonaro (PSL-SP) gehörten mit 222.533 Interaktionen (3,2 %) zu den einflussreichsten. Die öffentliche Gruppe TV Bolsonaro-B38 Em 2022, ebenfalls mit zwei Postings unter den populärsten Beiträgen, erzielte 229.714 Interaktionen (3,3 %). Weitere fünf Accounts posteten einmal und zusammen generierten sie 862.929 Interaktionen (12,6 % der Gesamtzahl).
Zum Ende dieses Abschnitts soll einmal herausgestellt werden, dass die Seiten Jair Bolsonaros und Carla Zambellis für die meisten Beiträge verantwortlich waren, die den Verdacht um die Betrugsanfälligkeit des brasilianischen elektronischen Wahlsystems bekräftigten.

4) Verbreitung von Links auf Facebook

Von den insgesamt 394.370 Beiträgen, aus denen sich der Untersuchungskorpus zusammensetzt, bestanden 133.822 (33,9 %) aus Links (URLs) innerhalb und außerhalb von Facebook, eine Untergruppe, die 26.755.839 (23,9 %) der Interaktionen auf sich zog. Bei der Analyse des Zeitintervalls zwischen dem erst- und letztmaligen Auftauchen der Links in dieser Datenbank lässt sich feststellen, dass ihre Lebensdauer zwischen einem und 435 Tagen betrug. Insgesamt können 50 Links als die relevantesten angesehen werden, da sie in mindestens 100 Beiträgen zu finden waren. Die höchste Anzahl von Beiträgen, die den selbe Link geteilt hatten, betrug 8.412. Von den 50 populärsten Links sind 20 mit anderen Websites als Facebook verknüpft und 30 sind interne Links, d. h. sie verweisen auf ein anderes Posting auf der Plattform selbst.

Die auf Facebook meistgeteilten Links
Analysierter Zeitraum: Vom 2. November 2020 bis zum 18. Januar 2022


. Quelle: CrowdTangle | Gestaltung: FGV DAPP

Unter den 20 externen Links sticht derjenige hervor, der zur öffentlichen Konsultation des Gesetzgebungsvorschlags Nr. 9/2018 für eine Stimmabgabe ausschließlich in Papierform führt. Zwischen 2020 und 2022 war er der meistgeteilte Link, wie die Studie Digitale Desinformation und Wahlen in Brasilien bereits hervorhob (RUEDIGER et al. 2020b). Weitere neun Call-to-Action-Links, die unterschiedliche Informationen zur „Kampagne für den gedruckten Stimmzettel“ und Umfragen zum PEC 135/2019 enthalten, gehören ebenfalls zu den am häufigsten verbreiteten Links. Vier davon leiten auf YouTube weiter – und zwar auf den Kanal eines Verfassungsrechtlers, der die Minister des STF scharf kritisiert und die Abstimmung in Papierform verteidigt. Zwei Links stammen von den rechtsorientierten (hyper)parteiischen MedienkanälenImprensa Brasil und Terça Livre und leitet zu Brasil247 weiter, einem linksorientierten Medienkanal.

Außerdem wurde ein Link von Rádio CBN, einem traditionellen Medienkanal, häufig verbreitet. Er gab die Aussagen Jair Bolsonaros über den Sturm auf das Kapitol, den Kongress der Vereinigten Staaten, wieder, nachdem der damalige Präsident Donald Trump die These von Betrug bei den Wahlen 2020 und die Delegitimierung ihres Ergebnisses unterstützt hatte. Auf der Liste erscheinen noch die Links zum Betreten eines Zoom-Meetings und zum Nachrichtenportal Éassim, der keine Herausgeber hat. Die internen Links bestehen wiederum aus der Wiederholung von bereits populären Beiträgen, die von Accounts von Politikern und Personen des öffentlichen Lebens stammen aber von persönlichen Profilseiten geteilt werden. So überwiegt der Austausch von Beiträgen von Personen wie Jair Bolsonaro, Carla Zambelli, Bia Kicis und Filipe Barros, die bereits unter den Akteuren und den wichtigsten Beiträgen zu diesem Thema erscheinen. Alle Postings sind Bildinhalte: 20 Videos (Livestreams und eingebettete Medien) und 10 Bilder, die zur Propaganda für Bolsonaro neigen.

3. FAZIT

Diese Studie zielt darauf ab, die Merkmale der Postings zu analysieren, die sich zum Vorwurf des Wahlbetrugs mittels elektronischer Wahlgeräte oder dem überprüfbaren gedruckten Stimmzettel äußerten und zwischen November 2020 und Januar 2022 auf Facebook veröffentlicht wurden. Die Untersuchung wirft ein Licht auf die Autoren dieser Beiträge und die Interaktionen, die sie auslösen, um zu verstehen, wo die Mobilisierungskraft der Agenda der Infragestellung von Wahlprozessen im aktuellen politischen Kontext Brasiliens angesiedelt ist. Dies ist der dritte Forschungsbericht, der sich mit diesem Thema befasst. Zusammen mit den beiden vorangegangenen Studien (RUEDIGER et al. 2020a; RUEDIGER et al. 2020b) lässt sich feststellen, dass das Misstrauen gegenüber dem elektronischen Wahlsystem spätestens seit 2014 ein Dauerthema in der öffentlichen Debatte auf Social-Media-Plattformen ist. Diese Diskussion verlagerte sich aus der rechten Mitte hin zur radikalen Rechten und die Erwähnungen der untersuchten Schlagwörter nimmt seit 2018 an Häufigkeit zu und generiert online immer mehr Interaktion. Das Jahr 2021 fällt durch die Menge an Beiträgen und Interaktionen auf: Während einiger Monate wurde sogar die dieses Thema betreffende Onlineaktivität des Wahljahres 2018 übertroffen, das diesbezüglich einen Referenzpunkt in der jüngsten Vergangenheit darstellt.

In 15 Monaten wurden 394.370 identifizierte Postings von 27.840 Accounts veröffentlicht und führten zu mehr als 111 Millionen Interaktionen. Diese Zahlen machen deutlich, wie aktiv diese Debatte online geführt wird und wie viel aktuelles Material zur Verfügung steht, das bei Bedarf erneut geteilt werden kann. Im Allgemeinen sind die populärsten Beiträge in diesem Themengebiet, diejenigen die mit folgenden Diskursen verknüpft sind: die Infragestellung eines aktuellen Wahlergebnisses, der Betrug bei früheren und die Risiken zukünftiger Wahlen. Nicht unbedingt entsprechen sie der inhaltlichen Qualität jener Beiträge, die sich auf eine technische Kritik oder die Diskussion über Transparenz, digitale Sicherheit und elektronische Wahlgeräte beziehen, die von Experten der Informatik oder ähnlicher Bereiche gefördert werden. Vielmehr werden die populärsten Beiträge zu diesem Thema von Politikern, die mit der Regierung von Jair Bolsonaro verknüpft sind, vom Präsidenten selbst und von seinen Unterstützer, von Bloggern bis hin zu konservativen Gruppen, veröffentlicht. Eine Ausnahme bildet Roberto Requião (MDB), der an die Möglichkeit von Wahlbetrug glaubt und sich für die Einführung von Wahlgeräten einsetzt, die sowohl digital als auch in Papierform funktionieren. Er schlug bereits 2001 den Einsatz eines elektronischen Wahlgerätes mit Druckmaschine vor.

Bemerkenswert ist, dass Accounts, die mit Basisorganisationen verbunden sind – und in denen Vorstellungen von Patriotismus, Moral, Interventionismus, Bewaffnung der Bevölkerung u. a. übertrieben dargestellt werden – unter den Accounts sind, die in den letzten 15 Monaten überdurchschnittlich häufig zu diesem Thema posteten. Zu den Accounts gehören hunderttausende Seiten und Gruppen, deren Namen Werte des rechtsradikalen Konservatismus widerspiegeln und die sich auf Bolsonaro, seine Kinder und die Führungskräfte seiner Anhänger beziehen. Es ist also notwendig, weiter zu untersuchen, wie sich diese Accounts im Prozess der Verbreitung dieser Inhalte auf Facebook artikulieren, in welcher Beziehung sie zu einem inoffiziellen politischen Propaganda- und Kampagne-Betrieb stehen (DOS SANTOS 2017) und daher eher mit Desinformationskampagnen verbunden sind, die die Manipulation der individuellen und kollektiven Meinung bezwecken. An dieser Stelle noch auch nochmals betont werden, dass die Betrugsvorwürfe in Bezug auf elektronische Wahlgeräte und die Forderung nach überprüfbaren gedruckten Stimmzetteln häufig mit anderen potenziell gefährlichen Diskursen verbunden sind, die sich zwischen Stigmatisierungen linker Ideale und Angriffen auf öffentliche Institutionen – insbesondere auf das Oberste Bundesgericht, das Oberste Wahlgericht und seine Minister – bewegen. Künftige Text- und Inhaltsanalysen könnten sich auf diese Aspekte konzentrieren.

4. LITERATURVERZEICHNIS

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5. HERAUSGEBER

Forschungskoordination
Marco Aurelio Ruediger
Amaro Grassi

Forscher
Tatiana Dourado
Polyana Barboza
Victor Piaia
Dalby Hubert

Fachliche Prüfung
Renata Tomaz

Grafikdesign
Daniel Almada
Luis Gomes

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