Zusammenfassung:
Diese Studie analysiert die Entwicklung der öffentlichen Debatte in Brasilien über den Ukraine-Krieg ein Jahr nach dessen Beginn. Dabei werden unterschiedliche Plattformen berücksichtigt. Auf der Grundlage der Analyse von Postings auf Twitter, Facebook und Telegram zwischen Februar und März 2023 zeigt die Studie, dass das öffentliche Engagement nach wie vor gering ist und die Teilnahme von Akteur*innen und Gruppen der Rechten an der Debatte überwiegt, insbesondere von Anhänger*innen des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro. Die Gruppe, die die Ukraine offenbar unterstützt, wird nicht von Akteur*innen aus der institutionellen Politik angeführt, sondern von Meinungsbildner*innen, die im Allgemeinen ihre Begeisterung für das diplomatische und pazifistische Verhalten des Präsidenten Lula zum Ausdruck bringen. Extremistische und verschwörerische Diskurse verbreiten sich auf den analysierten Plattformen, wo sie hohe Sichtbarkeit erlangen, und stimmen mit rechtsextremen Auffassungen überein, indem sie die vollständige Ablehnung der westlichen Kultur und intolerante Diskurse gegenüber Minderheiten in den Mittelpunkt stellen.
Schlüsselwörter:
Krieg in der Ukraine; öffentliche Debatte in Brasilien; Rechtsextremismus; Intoleranz
ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE
- Ein Jahr nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine lässt sich eine noch geringe Beteiligung der öffentlichen Meinung an der Debatte über den Konflikt beobachten. In der Twitter-Debatte übernehmen rechte Akteur*innen und deren russlandfreundliche Ansichten eine führende Rolle; die Gruppen, die die Ukraine unterstützen, bestehen hauptsächlich aus progressiven Meinungsbildner*innen.
- Was das rechte Engagement betrifft, zeichnen sich Postings zugunsten des russischen Präsidenten Wladimir Putin aus, dessen Kritik am Westen überhöht wird. Dabei lassen sich LGBTIQ*-feindliche Diskurse hervorheben.
- Akteur*innen aus einem breiten ideologischen Spektrum halten an negativen Einschätzungen der Vereinigten Staaten und der NATO fest; weiterhin wird die mediale Behandlung des Krieges häufig als einseitig im Vergleich zu anderen geopolitischen Konflikten kritisiert.
- Die Annäherung zwischen Lula und Wolodymyr Selenskyj Anfang März beflügelte die Debatte mit positiven Äußerungen zur diplomatischen Strategie der brasilianischen Regierung seitens der nationalen und internationalen Medien. Auf diese Weise hob sich die brasilianische Führung im Block der lateinamerikanischen Länder ab, die bis dahin von Kritiker*innen als „neutral“ in Bezug auf den Konflikt angesehen wurden.
- Auf Facebook gehörte Lula zu den meisterwähnten Namen in den analysierten Veröffentlichungen. Der Präsident wurde oft als Verantwortlicher für eine vermeintliche Wiederherstellung der internationalen Glaubwürdigkeit der brasilianischen Diplomatie genannt.
- Die Frage der Treibstoffe mobilisierte die mit der konservativen Rechten verbündeten Gruppen. Die Wiedereinführung der Treibstoffsteuern in Brasilien gab Anlass zur Kritik an der aktuellen Regierung, der eine, allerdings nur scheinbare, wirtschaftliche Entwicklung unter der vorherigen Regierung trotz des Krieges gegenübergestellt wurde. Diskussionen über Cybersicherheit, die Rolle Chinas in dem Konflikt und die vom russischen Präsidenten geschürte moralische Panik gehören nach wie vor zu den am meisten debattierten Themen auf der Plattform.
- Auf Telegram nehmen extremistische Diskurse und die Verbreitung von Verschwörungstheorien unter den beobachteten Gruppen einen hohen Stellenwert ein, wobei politische Gruppen der Rechten eine hervorzuhebende Rolle spielen.