Digitale Demokratie

Digitalisierung und Öffentlichkeit in Brasilien

Der globale Rechtsextremismus

Rechtes-brasilianisches Ökosystem etabliert sich auf Parler und ahmt US-Rechtsextreme nach

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1. EXECUTIVE SUMMARY

Das vorliegende Dokument präsentiert die Ergebnisse einer Analyse der Artikulationen und Aktionen radikalisierter Gruppen auf alternativen Social-Media-Plattformen. Die zunehmende Verschiebung zu diesen soziotechnischen Netzwerken steht möglicherweise im Zusammenhang mit der immer stärker werdenden Rolle von big techs wie Facebook und Twitter bei der Eindämmung von Hassrede und Angriffen auf demokratische Institutionen. Um diesen Prozess nachzuvollziehen, wird die Präsenz rechtsextremer Gruppen auf Parler, einer Plattform mit minimalen Regelungen bezüglich der Sperrung oder Löschung von Postings und Profilseiten, untersucht. Ausgehend von einer globalen Datenbank mit 93,4 Mio. Veröffentlichungen im Zeitraum zwischen dem 3. November 2020 und dem 7. Januar 2021 werden: i) die Identifizierung der wichtigsten Themen, Influencer und Gruppen in den Interaktionen des betrachteten Zeitraums; ii) eine spezifische Analyse der Aktivität der brasilianischen Gruppe auf der Plattform; iii) die Auflistung der Interaktionen zwischen rechtsextremen Gruppen in Brasilien und in den Vereinigten Staaten bezweckt. Die Ergebnisse zeigen die Entstehung eines transnationalen Netzwerks, das sich für Diskursreproduktionen mit dem Ziel, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben, engagiert.

  • Postings im sozialen Netzwerk erreichen Höhepunkt während der Stimmenauszählung der amerikanischen Präsidentschaftswahl und im Rahmen des Sturms auf das Kapitol;
  • Das konservative Publikum Brasiliens reagiert auf die Veröffentlichungen von Influencern der amerikanischen rechtsextremen Szene, die Betrugsvorwürfe bei der US-Präsidentschaftswahl verbreiteten;
  • 53,6% der mit der brasilianischen Gruppe verknüpften Profilseiten veröffentlichten Inhalte zum Wahlbetrug im betroffenen Zeitraum und übertrugen Argumente aus dem amerikanischen in den brasilianischen Kontext;
  • Das Teilen eines gemeinsamen verschwörerischen, auf Leugnung basierten Ideals sollte als Warnhinweis betrachtet werden, damit die Aktionen zur Diskreditierung der Demokratie und der Angriff auf Institutionen nicht auf globaler Ebene nachgeahmt werden;
  • Die analysierten Daten warnen vor möglichem ideologischem Einfluss rechtsextremistischer Gruppen aus externen Kontexten oder aus Ländern mit autoritären Regimen auf die Wahlen 2022 in Brasilien, wodurch das Land zu einem Teil des geopolitischen Spiels antidemokratischer Radikalen werden könnte;

Im Rahmen einer neuerlichen Monitoring-Untersuchung sammelte der Vorstand für Evaluation öffentlicher Politiken der Fundação Getulio Vargas (FGV DAPP) 93,4 Mio. Postings auf der Plattform Parler zwischen dem 3. November 2020 und dem 7. Januar 2021. Der Zeitraum reicht vom ersten Tag der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten bis zum Tag nach der Erstürmung des Kapitols durch Anhänger Donald Trumps.

Parler ist eine Social-Media-Plattform für Mikroblogging, die auf kurzen, auf 1.000 Zeichen begrenzten Nachrichten basiert. Auf der Plattform können die Nutzer die Publikationen ausgewählter Profilseiten in einer Timeline folgen. Die Funktionen von Parler ähneln denen von Twitter und ermöglichen Abstimmungen, Kommentare und Teilung von Postings. Das Netzwerk zeigt sich jedoch als eine Alternative zum Twitter, da es die Verteidigung der freien Meinungsäußerung betont und minimale Kriterien für die Sperrung oder die Löschung von Inhalten (z.B. über Pornografie, Terrorismus usw.) festlegt.

Mindestes seit 2019 wird die Plattform von US-Rechtsextremen benutzt. Die Entscheidung von Twitter, Postings von Donald Trump aufgrund der Verstöße gegen die Gemeinschaftsrichtlinien zu löschen, beschleunigte den Wechsel radikaler Anhänger des damaligen Präsidenten zu Parler. In Brasilien wiederum engagierte sich die Rechte für die Nutzung des Netzwerks ab Juli 2020 und Regierungsmitglieder und Influencer des konservativen politischen Spektrums erstellten z.B. Kontos auf der Plattform. Diese Kampagnen verstärkten sich durch die Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten.

Entwicklung der Inhalte auf Parler
Vom 3. November 2020 bis zum 7. Januar 2021

Quelle: Parler | Gestaltung: FGV DAPP

. Quelle: Parler | Gestaltung: FGV DAPP

Das Diagramm der Entwicklung der Postings zeigt Spitzenwerte an Tagen, die für die Wählerschaft Donald Trumps von Bedeutung waren. Am 9. November, bei der Stimmenauszählung der US-Präsidentschaftswahl, wurden 3,4 Mio. Postings gesammelt, mehr als das Fünffache am Wahltag (3. November). Darauffolgend ging der Umfang der Veröffentlichungen von Inhalten bis zum 6. Januar, Tag des Sturms auf das Kapitol, kontinuierlich zurück. Die Postings am 6. und am 7. Januar betrugen 2,7 Mio.

Parler weist eine Struktur auf, die sich von der Struktur anderer Social-Media-Plattformen unterscheidet. Der Hauptunterschied betrifft die Abwesenheit vielfältiger politischer Perspektiven. Unter den vier wichtigsten Gruppen, die 99,1% der Interaktionen auf der Plattform ausmachten, gibt es einen breiten Konsens hinsichtlich der Befürwortung konservativer Agenden, insbesondere in Zusammenhang mit der politischen Plattform Donald Trumps. Die Unterschiede, welche im Folgenden analysiert werden, ergeben sich aus Meinungsverschiedenheiten und diversen Framings von Fragen innerhalb desselben politischen Spektrums.

Die Verteilung der Gruppen in der folgenden Visualisierung deutet auf einige Merkmale der Dynamik der Debatte auf Parler hin. Die Gruppe Orange ist die größte und dichteste und entspricht der höchsten Konzentration von Profilseiten und Interaktionen. Die Gruppen Blau und Rosa weisen eine zerstreutere Verteilung und viele Schnittpunkte mit der Gruppe Orange auf. Diese beiden Gruppen, insbesondere die Gruppe Blau, unterscheiden sich von der Gruppe Orange sowohl in ihrer räumlichen Position als auch in ihrer Form, die weniger dicht ist und aus mehreren isolierten, kleinen Gruppen besteht. Davon ausgehend lässt sich behaupten, dass die beiden Gruppen Subnarrativen oder Subgruppen von Akteuren, die mit der Hauptgruppe in Verbindung stehen, enthalten. Die Gruppe Grün hingegen ist von den anderen drei Gruppen deutlich getrennt. Sie zeigt außerdem getrennte Knoten und niedrige Dichte.

Visualisierung der Interaktionen auf Parler
Zeitraum: Vom 3. November 2020 bis zum 7. Januar 2021

Quelle: Parler | Gestaltung: FGV DAPP

. Quelle: Parler | Gestaltung: FGV DAPP

Orange ‒ 57,8% der Profilseiten | 93,6% der Interaktionen
Die Hauptgruppe auf der Plattform zeigte eine hochkonzentrierte Verteilung mit über 90% der erfassten Interaktionen. Sie wurde aus politischen Kommentatoren und Moderatoren in Verbindung mit Fox News, konservativen Influencern, Anhängern von Verschwörungstheorien wie denjenigen von QAnon und Aktivisten von Anti-Migrations-Agenden zusammengesetzt. Unter den Postings mit den meisten Interaktionen herrschen Betrugsvorwürfe mit Bezug auf die US-Wahlen vor. Dabei sind die drei wichtigsten Ansätze zu erkennen: 1) Publikationen, die vermeintliche Beweise des Betrugs im Abstimmungssystem und Argumente dazu auflisten, wobei hervorzuheben ist, dass die an diesem System Beteiligten zur Veröffentlichung persönlicher Berichte über angebliche Regelwidrigkeiten in ihren Wahllokalen aufgerufen werden; 2) Verschwörungstheorien über geheime Absprachen zwischen Staaten, Unternehmen, der Demokratischen Partei, Medienkanälen und Social-Media-Plattformen zum vermeintlichen Wahlbetrug und somit zur Wahlniederlage Trumps; 3) Aufrufe zu Demonstrationen und Protesten gegen den vermeintlichen Wahlbetrug und zur Verteidigung Trumps, wobei eine Nachricht im Namen der republikanischen Kongressabgeordneten Marjorie Taylor Greene, die unter anderem den Bedarf an der Mobilisierung einer bewaffneten Basis zusammen mit den Demonstranten betont, herauszustellen ist.

Blau ‒ 36,8% der Profilseiten | 4,2% der Interaktionen
Die wichtigsten Influencer der Gruppe Blau, die einer Untergruppe der Gruppe Orange entspricht, waren die offizielle Profilseite der Kampagne Donald Trumps, konservative Fernseher- und Radiomoderatoren, der Gründer und CEO von Parler, John Matzer, und einige Beteiligten an der institutionellen Politik wie damalige Abgeordneten der Republikanischen Partei. Die Gruppe engagierte sich für Wahlbetrugsvorwürfe, aber zu ihren wichtigsten Publikationen gehört auch die Verteidigung der Aktionen Donald Trumps wie z.B. des Kaufs von COVID-19-Impfstoffen oder Antikorruptionsmaßnahmen. Schließlich gibt es mehrere Postings zum Beitritt neuer Mitglieder zu Parler und Berichte über einschüchternde Ereignisse auf anderen Plattformen.

Rosa ‒ 0,9% der Profilseiten | 1,0% der Interaktionen
Gruppe aus durchschnittlichen Nutzern, deren Profilseiten in der Regel keinen Namen oder Profilbild aufweisen. Unter den wichtigsten Veröffentlichungen sind Tutorials zu den Funktionen von Parler sowie Listen und Empfehlungen von Profilseiten, die von neuen Mitgliedern gefolgt werden sollten, hervorzuheben. Die Postings wiesen eine kleinere Strukturierung der Argumente bzw. Vorwürfe auf und nahmen eine Troll-Haltung durch die übertriebene Nutzung von Emojis, ironische Nachrichten und Angriffe auf andere Nutzer der Plattform an.

Grün ‒ 0,3% der Profilseiten | 0,3% der Interaktionen
Grundsätzlich aus Profilseiten von Influencern, Unterstützer und Politiker der brasilianischen konservativen Bewegung zusammengesetzt. Zu den wichtigsten Influencern gehören Profilseiten von mit der Regierung verbündeten Politikern wie Abgeordneten und Senatoren, dem Präsidenten selbst und Influencern ohne Verbindung mit der institutionellen Politik. Es handelt sich um die einzige Gruppe außerhalb der Vereinigten Staaten, die unter den vier größten Diskussionsgruppen auf der Plattform erscheint. Ihre wichtigsten Postings stellen Reaktionen auf den vermeintlichen Wahlbetrug in den USA und auf die Demonstrationen zur Verteidigung Donald Trumps dar, wobei die Berichte über vermeintliche Regelwidrigkeiten bei der Stimmabgabe und -auszählung zu betonen sind. Die Einführung des gedruckten Stimmzettels in Brasilien wurde in einem der Postings mit den meisten Interaktionen thematisiert. Außerdem gab es eine Mobilisierung rund um für die brasilianische Politik wichtige Themen wie die präventive Behandlung gegen COVID-19, Kritiken an den Aktionen der Gouverneure bzgl. der Pandemie und die Ankündigung positiver Maßnahmen und Ergebnisse der Regierung Jair Bolsonaros.

Brasilianische Debatte auf Parler weist internationalisierten Charakter mit Bezug auf den politischen Kontext der Vereinigten Staaten auf

Obwohl die brasilianische Gruppe für nur 0,3% der Interaktionen im betrachteten Zeitraum verantwortlich war, war sie die einzige Gruppe außerhalb der Vereinigten Staaten, die ein unabhängiges Netzwerk auf der Plattform bildete. Wie bereits erwähnt machten die vier in der Visualisierung dargestellten Gruppen 99,1% der Interaktionen im betroffenen Zeitraum aus. Dies bedeutet, dass die Anwesenheit von Unterstützern der Rechten aus allen anderen Ländern der Welt auf nur 0,9% begrenzt war. Das heißt, dass Brasilien die zweitgrößte Teilnahme an den wichtigsten Diskussionen auf der Social-Media-Plattform, die die radikalsten Akteure der konservativen amerikanischen Bewegung zusammenbringt, aufweist.

Die Präsenz der Debatte aus anderen Ländern auf der Plattform zeigt sich entweder verstreut oder stark in die politische Debatte der Vereinigten Staaten einbezogen. Insbesondere die anglophonen Länder sind mit den Gruppen, die sich auf die amerikanische Debatte beziehen, vermischt und bilden somit kein eigenes Netzwerk mit Bezug auf Themen jeweiliger Kontexte.

Die Gruppe, die mit Brasilien verbundenen Themen diskutierte, umfasste 136 Tsd. Interaktionen durch 8,1 Tsd. Profilseiten (nicht zwangsläufig brasilianisch). Im Verhältnis zur Anzahl von Anhängern der rechten Bewegung auf anderen sozialen Medien handelt es sich um eine kleine Gruppe. Das Verständnis des von der brasilianischen Rechten gebildeten Ökosystems der Kommunikation verlangt jedoch die Unterscheidung der Rollen und Besonderheiten jedes Netzwerkes bei der Bildung von Narrativen und Handlungsstrategien, die diese Gruppe verwendet.

Wortwolke der Interaktionen in der Gruppe Grün
Zeitraum: Vom 3. November 2020 bis zum 7. Januar 2021

Quelle: Parler | Gestaltung: FGV DAPP

. Quelle: Parler | Gestaltung: FGV DAPP

Die Wortwolke der Interaktionen der Gruppe Grün zeigt eine starke Präsenz von Begriffen, die mit dem amerikanischen Kontext verbunden sind und Bezüge auf die Kampagne Donald Trumps sowie Hashtags dazu aufweisen. Hashtags mit Namen von amerikanischen Bundesländern wie #Wisconsin2020, #Arizona, #NorthCarolina und #GeorgianElections verknüpfen sich mit Postings, die über den Prozess der Stimmenauszählung berichteten und in der Regel mit Wahlbetrugsvorwürfen einhergingen. Die Erwähnungen auf Portugiesisch hingegen verwendeten institutionsbezogene Begriffe wie „Präsident“, „Gouverneur“ und „Ministerien“, was im Unterschied zur Sprache der Interaktionen, die durch politische Gruppen auf anderen Social-Media-Plattformen erzeugt wurden, auf eine standardisierte Kommunikation hindeutet.

In diesem Sinne waren der internationale Charakter der Diskussionen auf Parler und der starke Einfluss der Themen in Zusammenhang mit der amerikanischen extremen Rechten der Ausgangspunkt für eine spezifische Analyse der Interaktionen zwischen der Gruppe, die Akteure und Themen aus Brasilien beinhaltet, und der anderen Gruppen, die die Visualisierung der Interaktionen hervorhebt.

Die Interaktionen zwischen der brasilianischen und der amerikanischen Rechten

Von den 136 Tsd. Interaktionen der brasilianischen Gruppen richteten sich 29,6 Tsd. (21,7%) auf Profilseiten und Publikationen anderer Gruppen der Visualisierung der Interaktionen. Diese werden im folgenden Diagramm dargestellt:

Interaktionen der Gruppe Grün mit den anderen Gruppen
Zeitraum: Vom 3. November 2020 bis zum 7. Januar 2021 | Gesamtzahl der Interaktionen: 29.664

Quelle: Parler | Gestaltung: FGV DAPP

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Wie im obigen Diagramm gezeigt zielten die meisten Interaktionen der Gruppe Grün auf die Gruppe Orange. Die Aktivitäten der Gruppe Grün, die sich auf die Gruppe Blau beziehen, sind ebenfalls hervorzuheben und betragen 12,38%. Im Unterschied dazu betraf die Gruppe Rosa nur 0,1% der Interaktionen der Gruppe Grün mit anderen Gruppen, was darauf hinweist, dass die Hauptakteure der Gruppe brasilianischer Thematik Influencer und Kommentatoren sind, die in der amerikanischen Debatte etabliert sind.

Das folgende Diagramm zeigt die wichtigsten Profilseiten, auf die die von der Gruppe Grün stammenden Interaktionen zielten. Zunächst lässt sich die starke Präsenz von @TeamTrump, der offiziellen Profilseite der Kampagne Donald Trumps auf Parler, beobachten, welche die hohe Anzahl von Interaktionen mit der Gruppe Blau erklärt. Die Profilseite mit den zweithäufigsten Interaktionen der Gruppe Grün war @WarRoomPandemic, eine Sendung des Ideologen der amerikanischen extremen Rechten Steve Bannon. Anschließend erscheinen Profilseiten wie denen von Moderatoren Mark Levin und Don Bongino, vom Rechtsanwalt L. Lin Wood und der republikanischen Abgeordneten Marjorie Taylor Greene, die vom US-Kongress aufgrund ihrer Unterstützung von Verschwörungstheorien wie denen von QAnon bestraft wurde und eine derjenigen war, die zur Demonstration im Kapitol aufriefen.

Wichtigste Profilseiten, mit denen die Gruppe Grün interagierte
Zeitraum: Vom 3. November 2020 bis zum 7. Januar 2021

Quelle: Parler | Gestaltung: FGV DAPP

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Das Diagramm betont die Durchsetzung von Verbindungen zu Anführern der globalen rechtsextremen Bewegung und insbesondere zu Akteuren, die ihre Netzwerke konsequent nutzen, um demokratische Institutionen anzugreifen. Der folgende Abschnitt geht auf spezifische Inhalte ein, welche durch diese Interaktionen mobilisiert wurden.

Angriffe auf Institutionen und Wahlbetrugsvorwürfe gehören zu den wichtigsten Inhalten, mit denen die Gruppe Grün am meisten interagierte

In einer Analyse der häufigsten Wörter der Postings, mit denen die Profilseiten der Gruppe Grün interagierten, lässt sich die Dominanz der Veröffentlichungen, die Ankündigungen von vermeintlichen Betrugsvorfällen beim Stimmenauszählungsverfahren der amerikanischen Präsidentschaftswahlen begünstigten und Kritiken sowie Angriffe auf die staatlichen Institutionen förderten, feststellen. Diese Charakteristik wird offensichtlich durch die starke Präsenz von Begriffen, die sich mit der Debatte über Betrug durch elektronische Wahlgeräte assoziieren. Beispiele dafür sind Wörter mit Vorwurfscharakter wie „fraud“, „irregularities” und „supression”, Befehlswörter wie „stopfraud“, Aktionsausdrücke wie „stop“ und „must“ sowie Erwähnungen der an den Wahlen beteiligten Kandidaten und Parteien.

Wortwolke der Postings, mit denen die Gruppe Grün interagierte
Zeitraum: Vom 3. November 2020 bis zum 7. Februar 2022

Quelle: Parler | Gestaltung: FGV DAPP

. Quelle: Parler | Gestaltung: FGV DAPP

Zusätzlich wurde eine spezifische Filterung durchgeführt, um den Umfang des auf Wahlbetrugsnarrative bezogenen Diskurses in der Gruppe Grün zu messen. Von den 136 Tsd. Interaktionen der Gruppe Grün enthielten 106 Tsd. textuelle Elemente und von diesen mobilisierten 35,5 Tsd. (33,4%) Begriffe mit Bezug auf Narrative über Betrug durch elektronische Wahlgeräte, gedruckten Stimmzettel und Misstrauen gegenüber dem Wahlsystem auf Portugiesisch und Englisch.

Das Engagement für das Thema ist auch bemerkenswert, wenn es aus der Perspektive der Profilseiten der Gruppe Grün analysiert wird. Die vom FGV DAPP durchgeführte Clusteranalyse identifizierte 8.138 Profilseiten in der Gruppe Grün, wobei 4.365 davon (53,6%) mit Publikationen interagierten, die Begriffe in Verbindung mit Narrativen über Betrug durch elektronische Wahlgeräte, gedruckten Stimmzettel und Misstrauen gegenüber dem Wahlsystem mobilisierten, auf Portugiesisch und Englisch.

Es lässt sich also nicht nur die Präsenz einer brasilianischen Gruppe in einem von der globalen extremen Rechte benutzten Netzwerk feststellen, sondern auch ihre Interaktionen mit Profilseiten in Zusammenhang mit Angriffen auf amerikanische Institutionen und mit Verschwörungstheorien sowie mit Publikationen, die Narrative über Betrug im amerikanischen Wahlsystems förderten.

Allerdings ist ein reaktives Aktivitätsmuster in den Interaktionen der brasilianischen konservativen Gruppe mit den Gruppen der extremen Rechte der Vereinigten Staaten zu beobachten, bei denen Äußerungen amerikanischer Führungsakteure wiedergegeben und die Nachahmung deren Argumente im brasilianischen Kontext – wie am Höhepunkt der Debatte über gedruckten Stimmzettel – angestrebt werden. Es wurden keine Aktionen beobachtet, die auf eine Beteiligung der brasilianischen Gruppe an der Planung und Durchführung der Angriffe auf das Kapitol hindeuten. Dabei wurde nur die Art und Weise identifiziert, wie diese Debatte sich auf die brasilianische Gruppe auswirkte und ihr mit Argumenten für die Infragestellung der Transparenz der wahlbezogenen Verfahren und Institutionen Brasiliens versorgte.

Die Daten weisen auf eine mögliche Nachahmung institutioneller Spannungen bei den amerikanischen Wahlen im brasilianischen Kontext hin und warnen vor dem ideologischen Einfluss von externen rechtsextremen Gruppen oder Ländern mit autoritären Regimen auf die Wahlen 2022 in Brasilien, welcher dringend zu bekämpfen ist. Brasilien sollte nicht zu einem geopolitischen Spiel antidemokratischer Radikalen werden.

Die Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber den Institutionen bei den Demonstrationen, die zum Sturm auf das Kapitol führten, schockierten die Welt und erhöhten die Besorgnis über die zunehmende Verbreitung und Anziehungskraft der Diskurse, die die Untergrabung des Vertrauens in demokratische Institutionen bezweckten. Die Social-Media-Plattformen sind Umgebungen, die entscheidend für diesen Prozess der Korrosion der Demokratie sind, und ermöglichen die Artikulation von Netzwerken, die Nutzen aus der mangelnden Regulierung der Verbreitung von radikalisierten Diskursen ziehen.

Diese Bewegungen sind bei weitem nicht auf ihren nationalen Kontext beschränkt, sondern knüpfen auch Netzwerke mit radikalisierten Bewegungen anderer Länder und ermöglichen den Austausch von Erfahrungen, Taktiken und Argumenten, die an jedem Ort entsprechend dem sozialen, politischen und institutionellen Kontext gedeihen. Das heißt, dass die Reaktion der amerikanischen Institutionen gegen die Demonstranten und ihrem Protest gegen die Amtseinführung von Joe Biden keine Garantie für die Aufhebung von Aufhebung antidemokratischer Diskurse sind, insbesondere wenn die Aufnahme dieser Narrative durch Führungsakteure und Aktivisten in anderen Ländern in Betracht gezogen wird.

In einer zunehmend vernetzten Welt sind Bedrohungen für demokratische Institutionen in einer globalen Perspektive nachvollzuziehen. Die Zuordnung der Netzwerke virtueller Interaktionen unter radikalisierten Gruppen spielt eine zentrale Rolle bei diesem Prozess und die Identifizierung von Verhältnissen brasilianischer Profilseiten zu Gruppen, die antidemokratische Handlungen in den Vereinigten Staaten vornahmen, zeigt den Bedarf an Maßnahmen zur Bestärkung des Vertrauens in die demokratischen Institutionen und zur Eindämmung der Bedrohungen für das Regierungssystem Brasiliens.

2. Schlussbetrachtungen

Parler ist eine Social-Media-Plattform, die sich hinsichtlich der öffentlichen Debatte von Plattformen wie Facebook und Twitter stark unterscheidet. Aufgrund der Vorherrschaft von Akteuren in Verbindung mit rechtsorientierten Bewegungen weist sie eine sehr homogene Diskussion und minimale Räume für Dissens auf. Die vom FGV DAPP durchgeführte Analyse von über 93,4 Mio. Postings auf der Plattform aus dem Zeitraum zwischen dem 3. November 2020 und dem 7. Januar 2021 zeigt, dass die Erwähnungen im Netzwerk Spitzenwerte in den für die Wahlniederlage Donald Trumps entscheidenden Momenten – wie bei der Stimmenauszählung der Präsidentschaftswahl und am Tag der Erstürmung des Kapitols – erreichten.

Drei der vier größten Gruppen, die an der Debatte auf der Plattform teilnahmen, bestanden aus Profilseiten in Verbindung mit der amerikanischen Politik und beförderten, neben Kritiken an der Presse und anderen Plattformen wie Twitter und Facebook, Vorwürfe bezüglich des vermeintlichen Wahlbetrugs.

Die vierte Gruppe hingegen bestand aus Profilseiten in Verbindung mit der brasilianischen politischen Debatte, wobei positive Aktionen der Bundesregierung wiedergegeben wurden. Etwas mehr als ein Fünftel der Interaktionen der Gruppe richtete sich an die mit der amerikanischen Debatte verknüpften Gruppen, gab die Vorwürfe bezüglich des vermeintlichen Wahlbetrugs wieder und rezipierte somit Postings von Influencern der amerikanischen extremen Rechten wie dem Ideologen Steve Bannon und der republikanischen Abgeordneten Marjorie Taylor Greene, die mit der QAnon-Bewegung verbunden ist.

Es wird beobachtet, dass die Plattform eine der wichtigsten Räume für den Austausch zwischen den Anhängern der brasilianischen konservativen Bewegung und der Debatte zwischen Influencern und Politikern der amerikanischen extremen Rechten ist. Bemerkenswert ist auch, dass Brasilien das einzige Land außer den USA ist, das ihr eigenes Netzwerk auf der Plattform etablierte, was auf das Ausmaß der digitalen Koordinierung und Mobilisierung der brasilianischen konservativen Bewegung in digitalen Umgebungen hindeutet.
In einer spezifischen Analyse des Engagements der Gruppe Grün für die Wahlbetrugsvorwürfe lässt sich die Debatte in 33,4% der auf Texten basierten und von der Gruppe verbreiteten Postings beobachten. Das Engagement der Gruppe ist noch größer, wenn es hinsichtlich der Akteure analysiert wird: 53,6% der Profilseiten der Gruppe Grün interagierten mindestens einmal mit Veröffentlichungen in Verbindung mit Wahlbetrugsvorwürfen.

Schließlich ist es wichtig, den Umfang und die Rolle von Parler beim brasilianischen Ökosystem der Kommunikation, insbesondere unter den Anhängern der Rechten, in Erwägung zu ziehen. Der Umfang der Inhalte und das Engagement, die auf Parler identifiziert wurden, sind im Vergleich zu Netzwerken wie Twitter und Facebook geringfügig. Das in den letzten Jahren gebildete Ökosystem der Kommunikation soll jedoch nicht nur in Bezug auf Zahlen betrachtet werden, sondern auch hinsichtlich der Funktionen jeder Plattform.

Parler zeigt sich als eine Plattform, die sich an hochengagierte militante Nutzer richtet und aus einem Raum für „interne“ Diskussionen ohne die Beteiligung dissonanter Themen, Meinungen und Debatten, die den Aufbauprozess von Narrativen verstreuen, besteht. Die starke Präsenz institutioneller Kommunikation charakterisiert die Plattform ebenfalls als einen primären Raum für die Verbreitung von positiven Inhalten über die Regierung und versorgt die Basis der Unterstützer mit Kritiken und Argumenten gegen Auseinandersetzungen in anderen Umgebungen.

Parler wird auch durch Diskurse mobilisiert, die Kritiken an vermeintlichen Verfolgungen und Zensuraktionen gegen die konservative Militanz auf anderen Plattformen, wie Twitter, Facebook, WhatsApp und YouTube bekräftigen. Die hohe Anzahl von Postings, die über Sperrungen und Löschungen in anderen Netzwerken berichten, ist ein Zeichen der Übereinstimmung zwischen den konservativen Narrativen und der Plattform, die sie fördert.

Möglicherweise ist das markanteste Merkmal der Plattform ihr weitgehend internationaler Charakter, welcher sich durch Netzwerke von Interaktionen zwischen radikalisierten rechtsorientierten Gruppen in unterschiedlichen Ländern etablierte, mit Schwerpunkt auf Brasilien und Vereinigten Staaten. Das wird offensichtlich durch die Tatsache, dass mehr als ein Fünftel der Interaktionen sich an Gruppen richtet, die mit der amerikanischen Debatte verknüpftet sind, und durch der Einfluss von den debattierten Themen auf die Gruppen in Verbindung mit der amerikanischen Politik, wobei der Schwerpunkt auf den Wahlbetrugsvorwürfen liegt.

Das Verbot der Plattform durch Google, Apple und Amazon im Januar 2021 deutet darauf hin, dass ihr noch an Stabilität mangelt, was ihre Dauerhaftigkeit und ihr Wachstum infrage stellt. Ihre Relevanz für jüngste politische Ereignisse zeigt jedoch das Potenzial derartiger digitaler Umgebungen für die Bildung und Organisation radikalisierter politischer Gruppen. Die vorgestellten Daten sind dementsprechend weit davon entfernt, feste Rückschlüsse zu ziehen, sondern zielen darauf, zur Bereicherung der Debatte beizutragen, indem sie Wege und Muster der politischen Kommunikation und digitalen Mobilisierung in der heutigen Welt aufzeigen.

3. Anmerkung zur Methodik

Alle Daten, die in der vorliegenden Publikation verwendet wurden, stammen aus dem Datensatz, der von Aliapoulios et al. (2021) erfasst und zur Verfügung gestellt wurde .

Die Datenbank wurde als ein Soziogramm modelliert und ging von den Verhältnissen zwischen dem Verfasser jedes Postings und dem Verfasser des im Feld Parent referenzierten Postings aus. Somit wurde eine Kante zwischen den Nutzern, die mit dem originalen Posting anderer Nutzer interagieren, erstellt.

Die Einteilung der Gruppen erfolgte mittels der Anwendung eines Clustering-Algorithmus (Blondel et al. 2008). Jede Farbe in der Visualisierung der Interaktionen entspricht einer der vier größten Gruppen, die vom Algorithmus identifiziert wurden.

Die Größe der einzelnen Profilseiten im Soziogramm spiegelt proportional die Anzahl seiner durch Knoten repräsentierten Interaktionen wider, unabhängig von ihrer Art.

Für die vorliegende Studie wurden keine Daten, die der originalen Datenbank fremd waren, vom Team des FGV DAPP erfasst, gespeichert oder analysiert.

4. LITERATURVERZEICHNIS

Aliapoulios, Max/Bevensee, Emmi/Blackburn, Jeremy/Bradlyn, Barry/De Cristofaro, Emiliano/Stringhini, Gianluca/Zannettou, Savvas: A Large Open Dataset from the Parler Social Network (Version 1) [Data set]. Zenodo 2021. Verfügbar unter: http://doi.org/10.5281/zenodo.4442460

Blondel, V. D./Guillaume, J. L./Lambiotte, R./Lefebvre, E.: Fast unfolding of communities in large networks. In: Journal of statistical mechanics. Theory and experiment, 2008(10), P10008.

5. HERAUSGEBER

FGV DAPP
Vorstand für Evaluation öffentlicher Politiken | Fundação Getulio Vargas

Forschungskoordination
Marco Aurélio Ruediger

Forscher
Amaro Grassi
Victor Piaia
Danilo Carvalho
Polyana Barboza

Die Äußerungen von Mitarbeitern der Fundação Getulio Vargas, die in Artikeln und Interviews allgemeiner Kommunikationskanälen als solche identifiziert sind, entsprechen ausschließlich den Meinungen der Autoren und nicht notwendigerweise er institutionellen Haltung der FGV.
Der DAPP Report ist eine Publikation ohne politische oder parteiische Verknüpfungen, die vom Vorstand für Evaluation öffentlicher Politiken der Fundação Getulio Vargas (FGV DAPP) verfasst wird. Sein Ziel ist es, eine Analyse des brasilianischen politischen Szenarios ausgehend von der öffentlichen Debatte in den sozialen Netzwerken zur Verfügung zu stellen.

Die in diesem Report durchgeführten Analysen sollen keine Wahlumfrage darstellen, sondern die gesellschaftliche Wahrnehmung von Themen der öffentlichen Agenda in der digitalen Umgebung wie z.B. politischer Akteure und öffentlicher Politiken zu bewerten. Demzufolge ist die Verwendung dieser Analysen für politische, parteiische Zwecke und Befürwortung persönlicher Haltungen nicht erlaubt. Mehr Informationen zu dieser Arbeit sind unter dapp.fgv.br/observa2018/metodologia verfügbar.

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